Interview mit Tommy Krappweis
Wie viel Gruseln ist für Kinder ok?
Herrlich gruselig!? Wir haben den Medienmacher Tommy Krappweis gefragt, worauf er bei gruseligen Szenen achtet und was er Eltern empfiehlt, wenn Kinder ängstlich reagieren.
Gruseliges Erzählen für Kinder
Schon kleine Kinder erschrecken sich gern. Gruseln hat etwas Reizvolles und Kinder können ihre Grenzen testen. Jedes Kind nimmt Gruseliges anders wahr: von der Lust am Gruseln bis hin zu echten Ängsten.
Tommy Krappweis hat Erfahrungen mit lustigen, traurigen, spannenden und auch schaurigen Filmelementen und Buchpassagen für Kinder. Wir haben ihn gefragt, worauf er bei gruseligen Szenen achtet und was er Eltern empfiehlt, deren Kinder ängstlich reagieren.
Tommy Krappweis: "Ich denke nicht unbedingt an Grusel, sondern eher an Spannung. Ich setze Spannung ein, um eine Geschichte interessant zu gestalten und da kann es schon auch mal gruselig zugehen. In „Mara und der Feuerbringer“ ist das titelgebende Feuerwesen ziemlich gruselig, da man lange nicht weiß, was er im Schilde führt und er über nahezu unbegrenzte Kräfte zu verfügen scheint. Hier nutze ich den Grusel also zur Spannungsbildung.
In den „Ghostsitter“ Büchern und Hörspielen geht es zwar ziemlich direkt um Gruselgestalten, da der vierzehnjährige Tom auf ein Gespenst, eine lebende Mumie, einen Vampir, einen Zombie und einen Werwolf aufpassen muss, aber hier breche ich die Erwartung an derlei Gestalten, da selbige eine ganz und gar menschenfreundliche Zweckgemeinschaft bilden, die sich dann wiederum gemeinsam dem Bösen entgegenstellen.
Ich würde also nicht sagen, dass „Grusel“ generell wichtig für mich ist. Ich nutze es wie jede andere Form des Geschichtenerzählens. Generell mache ich mir keine Gedanken über Genres – das überlasse ich denen, die das dann in Schubladen, Regale oder Sendeplätze einordnen."
Tommy Krappweis: "Im Endeffekt gelten hier die gleichen Regeln wie bei Geschichten für Erwachsene – jeweils abhängig vom Medium. Im Film wäre das zum Beispiel eine Kameraeinstellung mit der Bezeichung „Overshoulder“, bei der wir dem Protagonisten über die Schulter schauen und so nur das sehen, was er sieht. Durch den begrenzten Überblick entsteht ein Gefühl von „was ist hinter mir“ oder „was lauert hinter der nächsten Ecke“.
Im Roman kann man so ähnlich verfahren, in dem man in der Erzählperspektive ganz nah bei der Hauptfigur bleibt und beschreibt, was sie sieht oder zu sehen glaubt. Es gibt viele Techniken, die Grusel oder besser Spannung erzeugen.
Wir haben mit Bernd das Brot sogar einmal einen, naja, „Horrorfilm für Kinder“ gedreht, der alle typischen Ingredienzien aufweist, alle Klischees bedient, aber natürlich die Spannung in kinderverträglichen Dosen präsentiert – mit jeder Menge Humor. Der Film heißt „Bis das Brot gefriert“ und erzählt davon, wie Chili, Briegel und Bernd sich in einer eingeschneiten Berghütte einem vermeintlichen Schneemonster erwehren müssen. Dieses stellt sich am Ende als der verkleidete Hüttenbesitzer heraus, der damit nur die nervtötenden Ski-Touristen vertreiben wollte."
Tommy Krappweis: "Abgesehen von den offensichtlichen Dingen wie der Verzicht auf Gewalt und explizite Darstellung blutiger Grausamkeiten ist es vor allem der sogenannte „Comic Relief“. Eine spannende Szene wird innerhalb bestimmter Intervalle durch Humor unterbrochen und so in ihrer Wirkung abgemildert. Zweitens achte ich darauf, dass sich Gefahrsituationen vergleichsweise schneller auflösen als in einer Geschichte für Ältere. Und drittens halte ich es für wichtig, dass die Protagonisten nur an ganz entscheidenden Stellen gegen Ende zwischenzeitlich den Mut verlieren. Natürlich nur kurz! Denn was auf Kinder einen besonders bedrückenden Effekt hat, ist die „Hoffnungslosigkeit“. Die ist schwer auszuhalten, darf wirklich nur in ganz geringen Dosen eingesetzt werden und sollte sich bald wieder auflösen."
Tommy Krappweis: "Auf jeden Fall auf die Altersfreigaben achten. Und genau hinsehen, auf was das Kind reagiert: Viele Kinder haben zum Beispiel ein massives Problem mit dem klassischen Verlust, der am Anfang vieler Hollywoodproduktionen steht. Bambi verliert Mutter, Paddington verliert Familie, Kleiner Hund verliert besten Freund und dergleichen. Das kann oft als so bedrückend empfunden werden, dass alles, was danach passiert ungleich dramatischer auf das Kind wirkt, als es eigentlich ist. Jede noch so kleine Bedrohung für die Hauptfigur ist für das Kind dann eine zusätzliche Belastung zu dem immer noch schwelenden Drama der ersten zehn Minuten.
Andere Kinder gehen damit gelassener um, können es aber überhaupt nicht ertragen, wenn Figuren gemein zueinander sind. Auch dem klassischen lustigen Sidekick des Bösewichts darf nichts angetan werden, da sie ihn in ihr Herz geschlossen haben. Darum appelliere ich immer an Eltern, dass sie genau darauf achten, welche Art von Konflikt und Handlungswendung ihr Kind negativ empfindet.
Und dann sollte man die Inhaltsangaben von Filmen, Büchern und Co. vorab durchlesen und daraufhin auswählen. Der Grusel selbst ist dabei am allerwenigsten ein Problem. Es kommt vielmehr darauf an, wem eigentlich was warum passiert und wie es sich auflöst.
Ganz besonders wichtig ist, das Kinder gerade bei Geschichten, vor denen sie Angst haben, das Ende sehen/lesen dürfen. Oftmals schalten Eltern dann einfach aus oder legen das Buch weg, weil es zu spannend oder sonst wie bedrückend wirkt und die Kinder baumeln dann mit ihrer Hoffnung auf ein Happy End in der Luft, können unter Umständen tagelang nicht schlafen und denken sich eine Horrorgeschichte nach der nächsten aus, wie es wohl weitergehen könnte. Also: Gerade wenn das Kind Angst hat – vorspulen oder vorblättern bis zum Ende und zeigen, dass alles gut wird."
Tommy Krappweis: "Ich hatte als kleines Kind Angst im Dunkeln – da ging immer die Fantasie mit mir durch. Jeder Schatten wurde zu einem dräuenden Monster, jedes Scheinwerferlicht vorbeifahrender Autos erwuchs in meinem Kopf zu einer Geistererscheinung, die nur darauf aus war, mich unter der Bettdecke hervor zu zerren und in die Lüfte zu entführen.
Das legte sich Gott sei Dank bald wieder, aber vielleicht war ich deswegen nie ein Freund von Grusel oder später Horror, nur des bloßen Effekts wegen. Ich mag bis heute keine Horrorfilme und habe einige Klassiker des Genres bis heute nicht gesehen, weil es mir zu ekelig, zu bösartig oder auch zu zynisch ist. Mein Zuhause ist ganz eindeutig die klassische Familienunterhaltung. Da muss ich mich dann selbst auch nicht allzu oft gruseln."